von Werner Krone
Der Westwald blieb über die Jahrhunderte erhalten, weil seine Böden wenig fruchtbar waren und die Darmstädter Landgrafen Wald für die Jagd brauchten. Die Jagdleidenschaft wirkte sich allerdings
für die Bauern der umliegenden Dörfer oft verheeerend aus. Die Wälder waren auch zwischen Hof und Bürgern eine politische Kampfzone. Außer Holz zum Bauen, zum Verbrennen und als Rohstoff
lieferten Wälder Streu und Viehfutter.
Den Zustand zu Anfang des 19. Jahrhunderts stellt die Situationskarte von Darmstadt und Umgebung von Bechstatt & Sohn von 1802 dar:
Dieser Plan ist „geostet", das heißt im Plan ist Osten oben. Im Blattfalz liegt oben die Stadt Darmstadt, darunter der Gehaborner Hof. Nach Griesheim führen sowohl der ältere krümmungsreiche „Griesheimer Weg" als auch die schnurgerade „Breite Straße", die heutige Rheinstraße. Sie diente vor allem der repräsentativen Sichtachse vom Schloss nach Westen und entstand anstelle eines Kanals zum Rhein, der ein Jahrhundert zuvor zur Belebung der Wirtschaft ein Projekt geblieben war (zum letzten Versuch ein Bericht → hier). Der Kanzlerschaft von Karl von Moser sind die „Chausseen" nach Arheilgen und Eberstadt zu verdanken. Die alte Straße nach Arheilgen lief durch die gleichnamige Straße, die alte Straße nach Eberstadt über Bessungen durch die heutige Heinrich-Delp-Straße. Erste Waldeinschläge für Straßenbau gab es also im 18. Jahrhundert.
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In der Mitte des Westwaldes fällt das „Griesheimer Haus" auf, ein damals noch bestehendes Jagdhäuschen mit einem Schneisenstern. Der wesentliche Bestand an Schneisen und Wegen und deren Namen ist
bis heute bewahrt.
Seither hat der Westwald viel von seiner Substanz verloren. Über Flächenverlust hinaus wurde der Wald zudem in einzelne Inseln zerschnitten. Dies schuf weitere Angriffslinien für Windbruch und
Austrocknung. Für die Tierweld bedeutet das Verlust an Rückzugsmöglichkeiten.
Die Verluste des Westwaldes sind vor allem Verkehr und Militär geschuldet. Dies soll im Einzelnen hier verfolgt werden.
Das Messtischblatt von 1845 weist zusätzlich zur „Breiten Straße" (heute: Rheinstraße) eine Chaussee nach Groß-Gerau - Mainz auf, die östlich von Griesheim in Richtung Nordwesten abzweigt. Sie
wurde später die Reichsstraße 26 und schließlich 1969 von der Autobahn A 67 überbaut.
Der erste größere Aderlass für den Wald war der Bau der Main-Neckar-Bahn Frankfurt – Heidelberg durch die „Eberstädter Tanne" in den Jahren 1843 - 1846. Diese Bahn war ein
Gemeinschaftsunternehmen der Großherzogtümer Hessen und Baden sowie der Freien Reichsstadt Frankfurt am Main.
Das Großherzogtum zögerte danach mit weiteren Initiativen zum Bahnbau. Daher gründeten Kapitalgeber vor allem aus dem damaligen „Ausland" wie Bayern in Mainz (der größten Stadt des Großherzogtums
Hessen) die private Hessische Ludwigsbahn-Gesellschaft, benannt nach dem Großherzog Ludwig II.
Diese Gesellschaft baute in den 50er Jahren eine Eisenbahnstrecke von Gustavsburg am Rhein gegenüber von Mainz über Darmstadt nach Aschaffenburg. Die Bahn ging 1858 in Betrieb. Sie wurde
vervollständigt durch den Bau einer Rheinbrücke 1863, die eine bis dahin benutzte Eisenbahnfähre nach Mainz ersetzte. Der Bau der Bahn war in der Umgebung von Darmstadt mit Waldverlusten an der
Täubcheshöhle/Teufelshölle und im Ostwald verbunden.
Es folgte seitens der Ludwigsbahn abermals ein Jahrzehnt später die „Riedbahn" als Verbindung zwischen der Landeshauptstadt Darmstadt und der für das Großherzogtum ebenfalls bedeutenden Stadt
Worms. Außerdem sollte diese Bahn die damals bayerische Pfalz mit ihrem „Mutterland" verbinden. 1869 wurde die Strecke von Darmstadt über Goddelau und Biblis bis Rosengarten eröffnet. Von 1870
bis 1900 führte eine Bahnfähre Worms – Rosengarten über den Rhein. Erst zehn Jahre später folgte der Bau der Streckenäste Biblis - Mannheim und Goddelau – Frankfurt, unter deren Verlauf die
„Riedbahn" heute bekannt ist.
Beim Bau der Riedbahn wurde das Bruchstück eines römischen Grabmals gefunden, Hinweis auf einen antiken Mord im Westwald.
Am Rande des Westwaldes entstanden an der Straße nach Weiterstadt (heutiger Ortsteil Riedbahn) und an der oben erwähnten Chaussee nach Mainz (Posten 79) Schrankenanlagen. Deren Geschichte und die
der Riedbahn hat der investigative Journalist Walter Kuhl erkundet und ins Netz gestellt:
→ http://www.walter-kuhl.de/riedbahn/post79bu.htm und
→ http://www.walter-kuhl.de/riedbahn/index.htm.
Auch im Westwald sicherten weitere Schranken den Dornheimer Weg und die Braunshardter Hausschneise → http://www.walter-kuhl.de/riedbahn/weigands.htm
Im nächsten Jahrzehnt folgte die Odenwaldbahn (Eröffnung bis Ober-Ramstadt 1870). Nur die Bahn nach Groß-Zimmern ließ sich mit ihrer Eröffnung 1897 sehr viel mehr Zeit. Diese beiden Bahnen führen
durch die Wälder im Osten der Stadt Darmstadt.
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Auch das Militär griff in den Westwald ein. Das bisherige Exerziergelände im Westen der Stadt wurde zu klein (dort befindet sich heute das inzwischen ehemalige Verlegerviertel). Nach dem
Deutschen Krieg von 1866 konnte der loyale Verbleib des Großherzogtums Hessen beim Deutschen Bund von den Hohenzollern nicht hart geahndet werden. Dafür sorgte die Verwandtschaft der
großherzoglichen Familie mit dem russischen Zaren und der britischen Queen Victoria. Aber gut aufgepasst wurde auf die Hessen schon. Allein der Begriff „Vasall" hätte den preußischen Gesandten
intervenieren lassen.
Der „Griesheimer Sand", eine landwirtschaftlich kaum nutzbare Heide mit hohen Sanddünen, war schon ab 1855 als Schießplatz Darmstädter Artilleristen genutzt worden. Das Schießen bekam
Konjunktur, die Preußen richteten hier einen großen Truppenübungsplatz ein und stationierten eigene Truppen.
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Aber auch die hessischen Infanteristen bekamen mehr Platz zum Schießen. Für zwei Schießplätze mit Erdwällen wurden Schneisen in die „Darmstädter Tanne" geschlagen. „Tanne" (auch Bessunger Tanne, Eberstädter Tanne, Klingsackertanne) waren seit jeher die Namen der Waldbereiche, obwohl dort keine Tannen im heutigen Sinne, sondern Kiefern wuchsen. Einer dieser Schießplätze dient heute noch in seiner Funktion einem Schützenverein, der andere ist bewaldet und seine Wälle als Übungsstrecke für Mountainbiker bekannt.
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Bis dahin war das Hessische Leibgarderegiments (in der Nummerierung des Deutschen Reiches die „115er") in der Infanteriekaserne an der Alexanderstraße zu Hause und zog von dort auf Wache. Die
roten Gardedragoner und die weißen Leibdragoner waren in der Kavalleriekaserne in der Neckarstraße untergebracht (an dieser Stelle befindet sich heute der fälschlich so genannte Marienplatz). Das
Feldartillerieregiment schließlich hatte eine eigene Kaserne in der Heidelberger Straße. Aber nun war Aufrüstung angesagt.
Im Wettbewerb mit Preußens griff der Kasernenbau über die damalige Main-Neckar-Bahn hinüber und verlegte den Waldrand ein wenig nach Westen.
Der 1843/46 gebaute Main-Neckar-Bahnhof erwies sich schnell als zu klein und wurde aufgestockt. Für die in Darmstadt endenden Strecken der Ludwigsbahn wurde ein eigener Kopfbahnhof 1875 eingeweiht. Der Steubenplatz mit dem nun abgerissenen Hauptzollamt, dem Sozialgericht und der Berufsfeuerwehr markiert heute noch die Stelle der früheren Bahnhöfe.
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Durch zunehmenden Bahnverkehr wurden die Bahnhöfe zu klein. Weil die Main-Neckar-Bahn die Rheinstraße kreuzte, mussten hier ständig die Schranken schließen, ein unhaltbarer Zustand für die Stadt.
Nach der 1. Jugendstilausstellung 1901 begannen Planungen und Verhandlungen. Nach vielem Hin und Her wurde beschlossen, einen neuen Hauptbahnhof 800 Meter weiter westlich zu bauen, ca. 1,5 km vom
Luisenplatz entfernt.
Schon zuvor war westlich der Main-Neckar-Bahn ein Gewerbegebiet entstanden mit den Firmen Schenck, Donges, Röhm & Haas und der Hofmöbelfabrik Alter (heute Technikmuseum an der Kirschenallee).
Damals hing der Erfolg von Firmen noch von einem Gleisanschluss ab. Parallel zum Hauptbahnhof wurden der neue Güterbahnhof, das Ausbesserungswerk für Lokomotiven (das heutige Panzerwerk am
Dornheimer Weg), der Nord- und der Südbahnhof gebaut.
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1897 war die Preußisch-Hessische Eisenbahngemeinschaft gegründet worden. Sie verwaltete die nunmehr verstaatlichten Strecken der ehemaligen Hessischen Ludwigsbahn, der ehemaligen Großherzoglich
Hessischen Staatseisenbahnen und die Main-Neckar-Eisenbahn. Ihre königlich preußische und großherzoglich hessische Eisenbahndirektion Mainz wurde mit den Planungen betraut. Die Pläne sahen
Über- und Unterführungen vor, Abriss und Neubau. Kaum ein Stein sollte auf dem anderen bleiben.
1907 begannen die Arbeiten an den neuen Anlagen vor den Toren der Stadt. Bis 1912 wurden 36 neue Gebäude errichtet, 20 Brücken gebaut und fünfeinhalb Millionen Kubikmeter Erde zwischen Süd-
und Hauptbahnhof ausgeschachtet. Zudem wurden auch rings um Darmstadt hundert Kilometer neue Gleise verlegt.
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Am 28. April 1912 wurde Darmstadts neuer Hauptbahnhof der Öffentlichkeit übergeben. Um 11.30 Uhr versammelten sich die geladenen Gäste an den beiden alten Bahnhöfen am Steubenplatz und dampften
von dort aus mit einem Sonderzug zum neuen Hauptbahnhof.
Darmstadts Zukunft aber wurde zum großen Teil im Westwald gebaut.
Dazu gehörte ein neues Elektrizitätswerk natürlich mit eigenem Gleisanschluss, dessen Betriebsgrundstück heute noch von der HSE für Verwaltung, zentrale Schaltwarte und Lagerplatz genutzt
wird.
Der Auszug aus einem Übersichtsplan der Eisenbahndirektion Mainz aus dem Jahre 1906 mit Dank für die Überlassung durch Herrn Karl Aßmann aus Roßdorf → hier.
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Dies ist auch die Geburtsurkunde der Waldkolonie. Am Schnittpunkt von Mittelschneise (dem heutigen Rodensteinweg) und Dornheimer Weg entstand eine Eisenbahnersiedlung, wie so vieles geplant vom
Regierungsbaurat Friedrich Hyppolyt Mettegang. Die Hauptbahnhöfe von Aachen, Oldenburg und Bad Godesberg tragen seine Handschrift, auch den Bau des Darmstädter Hauptbahnhofes hat er maßgeblich
mitbestimmt. Die Inbetriebnahme in Darmstadt überlebte er gerade mal um ein Jahr.
Spaziergang um den Hauptbahnhof, eine Schrift der Wissenschaftsstadt Darmstadt → hier.
Außer für das Ausbesserungswerk für Loks („Lokwerk") wurde für eine Reservefläche Wald eingeschlagen. Hier sollte noch ein Ausbesserungswerk für Wagen Platz finden. Vorläufig wurde diese
Reservefläche dem 1921 gegründeten Eisenbahner-Sportverein Grün-Weiß zu Verfügung gestellt. In der Folge ist das „Wagenwerk" in den Werkstätten der früheren Ludwigsbahn an der Frankfurter
Straße, der sog. „Knäll" geblieben und so konnte auch der Sportverein bis heute das Gelände am Dornheimer Weg behalten.
Entlang der Wixhäuser Hausschneise (der späteren Michaelisstraße) wurden 1914/15, während des 1. Weltkrieges zwei Kasernen für die damals hochmodernen Funker und Luftschiffer gebaut. Auf dem
Exerzierplatz an der Gräfenhäuser Straße nördlich der Riedbahn wurden im Oktober 1914 Luftschiffe des Heeres stationiert (heute befindet sich dort die Wasserverwaltung der HSE). Am ersten
Zeppelin-Luftangriff auf Paris am 21. März 1915 war auch die Luftschifferabteilung Darmstadt beteiligt.(a)
Die beiden Kasernen sollten 1920 das erste und erfolgreiche Konversionsprojekt in Darmstadt werden. Die Reichsbahn richtete dort ihr Kraftwagenbetriebswerk ein. In die Kasernen zogen Eisenbahner
ein. Noch heute bestehen dort preiswerte Wohnungen.
Während des Krieges bekamen auch die Flieger eigene Kasernen am Griesheimer Sand. Hier, auf Deutschlands erstem Flugplatz baute der Ingenieur Otto Ursinus das erste zweimotorige Bombenflugzeug
für die künftige deutsche Fliegertruppe.(b)
(a) entnommen: Darmstädter Kalender, Justus von Liebig Verlag Darmstadt 1994, S.188
(b)entnommen: am angegebenen Ort, S. 186
Der Versailler Vertrag bestimmte, dass das linksrheinische Reichsgebiet und Brückenköpfe in einer Tiefe von 30 km um die Städte Köln, Koblenz und Mainz von den Siegermächten besetzt wurden. In den Brückenkopf Mainz fielen so Griesheim, Weiterstadt und Arheilgen. Die französische Armee bezog den Truppenübungsplatz Griesheim, der zuvor französische Kriegsgefangene beherbergt hatte. Die Grenze zum nichtbesetzten Gebiet wurde mit Schlagbäumen und Posten gesichert. Sie befand sich zunächst an der Main-Neckar-Bahn. So war die Waldkolonie besetzte Zone, deren Grenze nach Darmstadt nachts gesperrt war. Auch Darmstadt wurde vorübergehend einmal besetzt. Im Sommer 1924 wurde die Grenze des besetzten Gebietes auf den östlichen Ortsrand von Griesheim zurückgenommen. Der Truppenübungsplatz Griesheim war französische Garnison.
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Am 30. Juni 1930 räumten die Besatzungstruppen als letzte die „Mainzer Zone“, fünf Jahre früher als im Versailler Vertrag vorgesehen. Das Gebiet sollte vertragsgemäß entmilitarisierte Zone bleiben, worüber sich die nationalsozialistische Führung aber 1936 bei der von ihr so benannten „Rheinlandbefreiung" hinwegsetzte.
Darstellung der besetzten Gebiete z.B. → hier
Im neuen, dem 20. Jahrhundert war der Friedhof an der Nieder-Ramstädter Straße zu klein geworden. Der Waldfriedhof im Westen der Stadt wurde von August Buxbaum entworfen. Er war seit 1909 Stadtbaurat. Seine Entwürfe zieren die Stadt: Das inzwischen abgerissene E-Werk II am Dornheimer Weg, die Eleonoren- und die Justus-Liebig-, die Kyritz- und die Pestalozzischule. Die hufeisenförmigen Anlage mit dem halbkreisförmigen Wandelgang, die Trauerhalle und das Krematorium sind noch vom Jugendstil mit seinen pflanzlichen Elementen geprägt. Die Anlage wurde 1914 eingeweiht, aber erst nach dem Weltkrieg fertig; die künstlerisch interessantesten Grabdenkmäler auf dem Waldfriedhof stammen folglich aus der Zeit des Expressionismus.
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In den zwanziger Jahren plante Buxbaum vor allem Sozialmietwohnungen, so Lichtenbergstraße 17 und 19, die Wohnblocks am Ostbahnhof und an der Bessunger Straße/Ecke Ludwigshöhstraße, nicht zuletzt
viele Gebäude auf der Nordseite des Rhönrings (hier war zuvor der Bahndamm der Odenwaldbahn gewesen). Bei allem Engagement war Buxbaum kein Befürworter des Expressionismus mit seinen gezackten
Elementen und der Betonung von Vertikalen und Horizontalen.
Das war anders bei den Architekten, die weitere Gebäude in der Waldkolonie planten. Hier sind Heinrich Stumpf und Karl Osterrath zu nennen, Lehrer an der Landesbaugewerkschule (heute Hochschule
Darmstadt). Der Illigweg atmet sozial verpflichteten Wohnungsbau mit dem Leben im Grünen. Die zweistöckig in einem Bogen stehenden Reihenhäuser haben zierliche Vorgärten zur Wohnstraße hin und
Nutzgärten hinter den Häusern. Sie sind wie auch andere Straßen der Waldkolonie für ihre Bewohner gebaut, nicht für Autos. Der Illigweg und seine Häuser stehen unter Denkmalschutz.
Die Häuser wurden 1921 -1923 gebaut und fallen in die expressionistische Epoche. Dies ist an Einzelheiten wie dem Gesims unterhalb der Fenster des Obergeschosses zu sehen.
Weitere Beispiele für expressionistische Bahnhäuser sind die Häuser in der Schachtstraße am Hauptbahnhof und Am Lindgraben 1-20 in Kranichstein.
Ein weiterer Markstein des Expressionismus ist das Umspannwerk am Dornheimer Weg, das heute so genannte „Schalthaus". Sein Entwurf von 1926 weist hohe, schmale Fenster auf, die reizvoll mit der
Gesimse quer geteilten Fassade kontrastieren. Im abgetreppten Giebel sind erhabene Rautenmuster und ein dazu passendes Fenster zu sehen. Das Umspannwerk wurde 1964 stillgelegt und 1998/99 zum
Vereinszentrum der Waldkolonie umgebaut.
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Quelle: Darmstädter Architekturgeschichte Bd 4, Expressionismus und Internationaler Stil, beschrieben von Eva Reinhold-Postina fotografiert von Nikolaus Heiss, Roether
Verlag Darmstadt 1990
Die Waldkolonie ist noch heute ein eigener Kosmos mit vielen Vereinen und dem → Bezirksverband
Wie viele soziale Verknüpfungen es hier gibt, zeigt auch → http://waldkolonie-darmstadt.de/
Wie die Waldkolonie weist die Heimstättensiedlung eine Schaltstation auf, die an eine Hochspannungsleitung anschließt. Die Darmstädter Architekturgeschichte beschreibt dieses Viertel nicht besonders. Die Architektur ist ja auch nicht besonders (die Erbauer hatten wohl andere Sorgen als Fragen des Baustils), wohl aber seine Entstehungsgeschichte.
Die Stadt Darmstadt wählte 100 unter 500 arbeitslosen Männern aus, die dann im April 1932 mit dem Bau der ersten Eigenheime der „Erwerbslosensiedlung“ im Südwesten Darmstadt begannen. Bevorzugt
wurden Bauhandwerker, Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Glaser, Schlosser und Bauhilfsarbeiter.
Die Stadt Darmstadt stellte ihnen ein Gelände am Alten Eschollbrücker Weg (heute Heimstättenweg) und an den ehemaligen Pulverhäusern, einem alten Munitionsdepot, zur Verfügung. Jedem Siedler
wurden gegen Erbpachtzins rund 1000 Quadratmeter Grundfläche überlassen. Am Doppelhaus Gollacker 45/47 wurde der erste Grundstein gelegt. 62 Pfennige, das gesamte Barvermögen des Arbeitstrupps,
wurden darin eingemauert. In den Siedlungshäusern wohnten im Durchschnitt sechs Personen. Sie hatten nur 56 Quadratmeter Wohnfläche – drei Zimmer, Küche, Keller – aber einen riesigen Garten. Dort
konnten die Familien Obst, Gemüse und Kartoffeln für die Selbstversorgung ziehen, Hühner und Kaninchen halten. Der „Reichsverband Deutscher Kleinsiedler“ (heute: „Siedlergemeinschaft
Darmstadt-Süd“) schulte sie in Obstbaumpflege, Gemüseanbau und Kleintierhaltung.
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Mit den Siedlern wurden Verträge abgeschlossen, die sie zu bestimmten Arbeitsstundenleistungen verpflichteten. War ein Bauabschnitt fertig, wurden die Häuser unter den Siedlern verlost. Das
spornte alle zum gewissenhaften Arbeiten an. Pfusch am Bau hätte sich ja auch auf sie selbst nachteilig auswirken können. Das Baumaterial stammte von den Pulverhäusern und den ehemaligen Ställen
des Dragonerregiments Ecke Riedesel-/Hindenburgstraße.
Damit ist dies das zweite Konversionsprojekt in Darmstadt gewesen.
Auf „Stücklisten“ wurden die Starthilfen für die Arbeitslosen und Fürsorgeempfänger vermerkt. Alle bekamen das Gleiche: einen Kirschbaum, einen Nussbaum, fünf Hasen, zehn Hühner, einen Spaten,
eine Hacke.
Quelle: http://www.siedlungsnet.de/index.php/geschichte/59-die-geburt-der-heimstaettensiedlung.html
Die Heimstättensiedlung ist noch heute eine Welt für sich mit vielen Vereinen und dem → Siedlerbund
1926 gründeten interessierte Kreise aus Industrie und Wirtschaft die private Gesellschaft HAFRABA zum Bau einer Autofernstraße „Hansestädte - Frankfurt - Basel". Das Konzept wurde erstmals vorgestellt auf der Automobilausstellung Basel 1927. Eine Hafraba-Ausstellung wurde in Darmstadt am 15. 11.1928 im Gewerbemuseum eröffnet. Auch heute selbstverständliche Lösungen für Anschlussstellen und Autobahnkreuze wurden schon für die HAFRABA entwickelt - von dem Schweizer Schlosserlehrling Willy Saarbach. Die nationalsozialistische Führung machte sich die Vorarbeiten für ihre Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu eigen. Die Reichsbahn musste hierzu Planer und Ingenieure stellen. Südlich des Mains erfolgte am 23.9.1933 der erste Spatenstich für die HAFRABA-Teilstrecke Frankfurt - Darmstadt durch Adolf Hitler, der sie am 19.5.1935 auch eröffnete.
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Wie selbstverständlich fügte es sich, dass hierbei der Westwald von Norden nach Süden durchtrennt wurde. Ein Waldstück, die „Hohe Tanne" östlich des Gehaborner Hofes verschwand sogar gänzlich.
Eine Autobahnmeisterei wurde an der Rheinstraße erbaut.
Die Autobahn umfasste damals nur vier Richtungsspuren. In den folgenden Jahrzehnten kamen beidseitige Standstreifen hinzu, zwischen Darmstadt und Frankfurt zuletzt sogar eine Verdoppelung der
Fahrspuren auf acht.
In den 50er Jahren wurden auch Raststätten in Gräfenhausen und Pfungstadt je beidseids gebaut - natürlich alle im Wald.
Mehr zum Autobahnbau Frankfurt - Darmstadt → hier
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In der Waldkolonie entlang der Michaelisstraße und „Auf der Hardt" bei Arheilgen setzten die 1933 an die Macht gebrachten Nationalsozialisten die Bautätigkeit fort. Mit dem Bau der sog.
„Frontkämpfersiedlungen der SA" wurde am 21. März 1934 in Anwesenheit von Gauleiter Jakob Sprenger begonnen.
Bis 1935 waren in der Waldkolonie 50 der kleinen einstöckigen Siedlungshäuser mit Satteldach fertiggestellt, die vor allem von „Frontkameraden, Kriegsbeschädigten und (...) Kameraden der
Bewegung, vor allem die der SA und SS" bezogen wurden. Je zwei Wohnhäuser waren baulich zusammen gefasst, wobei der dadurch entstandene Raum für Stallgebäude genutzt wurde. An die Rückfront der
Häuser schloss sich ein jeweils 900 qm großer Nutzgarten an, durch dessen Bewirtschaftung die Bewohner auch in Kriegszeiten in der Lage sein sollten, sich selbst zu versorgen.
Ihr Stil kleinster Erbhöfe setzte sich bewusst ab von dem der damals so genannten „Marxisten" mit Reihenhäusern und Geschosswohnungen. Sie sollten auch „den Arbeiter mit der 'Scholle' "
verbinden.
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Im Gegensatz zu den 20er Jahren entstanden aber in den Jahren des „Dritten Reiches" keine neuen Wohnviertel, sondern erst mal wieder neue Kasernen und dann Bunker. Darmstadt lag gemäß Versailler
Vertrag in der 10 km breiten „neutralen Zone". Unmittelbar nach der Besetzung des Rheinlandes im März 1936 durch die Wehrmacht (der so genannten „Rheinlandbefreiung") begannen Planung und Bau.
Südlich der Stadt entstanden in den Jahren bis 1938 die „Freiherr-von-Fritsch-Kaserne" und die „Cambrai-Kaserne".
In den Westwald wurden geholzt:
Und auch ein weiterer Schießplatz für die moderne Panzerwaffe südlich der Heimstättensiedlung durfte nicht fehlen. Absichtlich wurden militärische Traditionen und Legenden des Großherzogtums
hierbei belebt wie die des ,115'er Regiments und der Dragoner.
Die Bauten waren in vollem Gange, als der Lehrer J. A. Hohenner aus Marburg bei einem Besuch in Darmstadt 1937 einen Normal-Acht-Film drehte, dem er ausgerechnet den Titel „Die Großstadt im
Walde“ gab.
Zu erwähnen ist hier auch der Bau von umfangreichen Munitionsdepots mit Gleisanschlüssen in der Eberstädter Tanne und im Wald bei Münster.
Luftbild der US-Armee von der Ernst-Ludwig-Kaserne aus dem Jahre 1950 |
Luftbild der US-Armee 1950 der vormaligen Leibgardekaserne und des Heeresverpflegungslagers (nun: Nathan Hale Depot) Quelle: [1] |
Luftbild der US-Armee 1959 von der Fliegerkaserne Griesheim, nun Herstellungsort der Armeezeitung Stars & Stripes Quelle: [1] |
Der Krieg ging auch von Darmstadt als „Hauptwaffenplatz des Westens" (so eine begeisterte Schlagzeile der Darmstädter Tageszeitung) in die Welt. Aber er kehrte auch dahin zurück. Deportationszüge
fuhren Menschen in den Tod und ein Munitionszug explodierte stundenlang, und die Darmstädter dachten nach Mitternacht des 11./12. September 1944, der Luftangriff sei noch nicht vorüber. Aber
bevor am 23. März 1945 am Richthofenbunker am Hauptbahnhof (heute: Mozartturm) die ersten US-Panzer vorbeirasselten, waren Tausende Tote im Waldfriedhof in Karren und Badewannen der Erde
übergeben worden. Dieses Massengrab und der Trümmerberg am heutigen Autobahnkreuz sind zwei bleibende Mahnmale im Westwald.
Auf den Bildern (Quelle [1]) sind Luftbilder aus einem Bomber am 12. Dez. 1944 zu sehen, der in 25.550 ft. Höhe in Richtung Ostnordost flog. Im linken Bild wird Griesheim bombardiert (Autobahn am
oberen Bildrand) und kurze Zeit später Darmstadt überquert. Hier sind Brände im Industrieviertel nördlich des Dornheimer Weges und nördlich des Rhönringes zu sehen. Auch an der
Lauteschlägerstraße brennt ein Haus. Waldkolonie und Heimstättensiedlung hatten stets Glück.
Wer die Angst der in den Kellern harrenden und hier nicht sichtbaren Menschen ausblendet, bemerkt den Bestand des Westwaldes zu dieser Zeit.
Quellen auch für weitere Fotos siehe Seiten der US-Veteranen:
[1] http://vetsmemorialmuseum.tripod.com/id6.html
[2] http://www.usarmygermany.com/Sont.htm?http&&&www.usarmygermany.com/Units/Engineer/USAREUR_547thEngrBn.htm
Zum Richthofenbunker und anderen Zeugen der Darmstädter Geschichte → Von Adelung bis Zwangsarbeit, 2.
Auflage
Zur Geschichte des Bombenkriegs z. B. Heidenreich u. Neitzel (Herausg.), Der Bombenkrieg und seine Opfer
mit Beiträgen von Dr. Fritz Deppert und Harold Nash → hier
Lange markierte die Dragonerkaserne an der Rheinstraße den westlichen Eingang zur Stadt. Im Frühjahr 1945 besetzten die US-Armee die Kaserne und errichtete ein Lager hinter doppeltem Stacheldrahtzaun für hochrangige Nationalsozialisten aus ganz Hessen. Dieses war als „Internierungslager" bekannt und bestand bis 1948. Mitglieder der SS, der Gestapo oder der SA mussten sich hier einem der zehn Spruchkammern im Lager einem Verfahren stellen.
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Das Lager war in vier Camps aufgeteilt mit Bürgermeister und mehrere Bezirksbürgermeistern. In Spitzenzeiten waren in den Gebäuden und Zelten 24.520 Internierte untergebracht.
In der Kleinstadt des Lagers gab es Werkstätten und ein Theater, Fortbildungen und eine Lagerzeitung, vor allem aber genügend Nahrung. Viele Darmstädter hatten den Verdacht, dass es den „alten
Nazis“ am Kavalleriesand besser ging als ihnen. Nach der Auflösung des Lagers zog dort das Fernmeldetechnische Zentralamt (FTZ) mit zunächst 800 Mitarbeitern ein. Zusammen mit dem Posttechnischen
Zentralamt war Darmstadt die technische Hauptstadt der Bundespost.
Mehr hierzu → hier → und hier
Für das Internierungslager war westlich der Dragonerkaserne wieder ein großes Stück dem Westwald entrissen worden. In den 50er Jahren wurde hieraus ein neues Wohnviertel für Mitarbeiter der
Bundespost. Der Pupinweg (benannt nach Mihajlo Pupin, dem Erfinder der Pupinspule) liegt in der Achse der früheren
Mittelschneise.
Die Kasernen der Wehrmacht waren ansonsten von der US-Armee übernommen worden. Kleinere Waldstücke mussten beim Bau der Lincoln-Siedlung als Ersatzgelände für Kleingärtner sowie für die
Jefferson-Siedlung weichen.
Keinen Wald kostete dagegen der Bau der Starkenburgkaserne in den 50er Jahren in der Waldkolonie. Das daneben liegende Ausbesserungswerk für Lokomotiven wurde 1958 von der Bundeswehr übernommen.
Hier werden seither Kampfpanzer instand gesetzt. In absehbarer Zeit wird sich die Bundeswehr aus der Kaserne zurückziehen. Das nun privatisierte „Panzerwerk" soll wohl auch aufgegegeben werden.
Über alles wie auch das 1958 von der Bundeswehr übernommene Sportgelände von Grün-Weiß wird das Immobilienamt des Bundes (BImA) befinden.
Die B 26 nach Mainz war schon in den 50er Jahren auf 4 Spuren verbreitert worden. Beginnend von einem neuen Möchhof-Dreieck wurde in den Jahren 1964 - 1968 eine neue Autobahn Richtung Darmstadt
und darüber hinaus bis Walldorf südlich von Heidelberg gebaut. Sie durchtrennt den Westwald wie ein weiterer Tortenschnitt quer von Nordwesten nach Südosten. Die „alte" Autobahn wird in einem an
Spaghetti erinnernden Knoten gekreuzt, der sogar ein eigenes Stück Autobahn, die A 672 enthält. Die Nummerierung A5 und A 67 macht nun keine Unterschiede mehr zwischen „alter" und „neuer"
Autobahn, doch der Westwald steht und schweiget. Und der Verlust dieser Flächen sollte nicht der letzte bleiben.
1980 folgte die Freigabe der Karlsruher Straße, 1985 die Umgehungsstraße B 426 vom „Kühlen Grund“ bis zur Karlsruher Straße.
Die „alte" als HAFRABA mit vier Fahrspuren gebaute Autobahn von Darmstadt nach Frankfurt wurde auf einen Schlag als erste in der Bundesrepublik auf acht Spuren aufgerüstet. Zur Zeit werden
weitere Planungen am Darmstädter Kreuz umgesetzt:
→ Magistratsvorlage der Stadt Darmstadt
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In die Pläne ist als Zukunftprojekt eine Neubaustrecke der Bahn eingetragen, die dem Westwald außer weiterem Substanzverlust eine lange Wunde schlagen würde. Diese würde den vorherrschenden
Westwinden eine Flanke zum Austrocknen und für Windbruch öffnen. Experten fordern daher, wenn diese Strecke schon sein muss, sie westlich der Autobahn zu bauen. Dagegen erbrachte Einwendungen um
ein Biotop „Beckertanne Ost" südlich des Autobahnkreuzes gleichen einer Posse.
Der Standort des FTZ in der früheren Dragonerkaserne war der Grund, auch noch den letzten Wald am Hauptbahnhof zu beseitigen. Die 1929 in Berlin gegründete Fernseh Gmbh war 1949 von einem Ausweichquartier nach Darmstadt gezogen. Zum Bosch-Imperium gehörig, bezog sie mit ihren Schwesterfirmen Blaupunkt und Bosch Elektronik ein früheres Bankgebäude am Alten Bahnhof. Trotz Aufstockung war dieses Gebäude bald zu klein und ab 1962 wurde mit der Stadt Darmstadt verhandelt über das Waldgrundstück nördlich der Rheinstraße.
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Das war wohl nicht unumstritten, denn in der Plandarstellung wurde der Eindruck erweckt, die neuen Gebäude würden auf Waldlichtungen errichtet. In der Tat sollte es später mehr Gebäude- als
Waldlichtungen geben. Die parallel zur Rheinstraße verlaufende Erschließung trägt heute noch den Namen Robert-Bosch-Straße.
Die räumliche Nähe eines Staatsunternehmens und seines privatwirtschaftlichen Auftragnehmers mit 1200 Beschäftigten kann nur als symbiotisch bezeichnet werden. Nach dem Umzug 1971 brachte die
Fertigung von Studiotechnik und Übertragungswagen zu den Olympischen Spielen eine Blüte.
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1986 wurde aus der "Fernseh GmbH Darmstadt" die „Bosch Television Systems" als BTS und dann kam 50% Philips als „Partner" ins Spiel. Und aus dem Logo „BTS" wurde „Broadcast Televison System". Der
Reihe nach ging das in etwa so weiter: BTS, Philips, Philips BTS, Thomson Broadcast & Media Solutions und schließlich Grass Valley. Dann wurde der gesamte Philips Broadcast Bereich und damit
auch die deutsche Systems Division in Weiterstadt an Thomson nach Frankreich „abgegeben". Es war das Eingeständnis von Philips, gegen die Konkurrenz aus Fernost verloren zu haben. Aber da waren
die Arbeitsplätze aus dem früheren Wald längst woanders, nur den Wald hat das nicht mehr wachsen lassen...
Und 2010 heißen sie wieder Grass Valley, und 2012 wurde BTS endlich wieder mal BTS.
Aber auch die Deutsche Bundespost gibt es längst nicht mehr.
Quelle [3]: http://www.fernsehmuseum.info/fernsehen-historie-00.html
Für Technik-Freaks: → dies und → das
Heute befindet sich auf diesem Gelände das Europahaus mit verschiedenen Firmen, die ESOC als Raumfahrtzentrum der esa (Europäische Weltraum-Agentur) und das TIZ – Technologie- und
Innovationszentrum der TU. Die ESOC plant einen neuen Verwaltungsbau für rund 200 Mitarbeiter. Ein zweiter Bauabschnitt sieht ein spektakuläres 200 Meter langes und 30 Meter breites Gebäude vor,
das wie eine Brücke über die Robert-Bosch-Straße führt und ein Besucherzentrum, Kontrollräume, ein Restaurant und eine Kantine vereint. Das Dach des Gebäudes ist als grüne Dachterrasse geplant –
als Campus, Rückzugs- und Kommunikationsort.
Quelle: http://www.darmstadt.de/standort/wissenschaft/esoc-hessens-tor-zum-all/index.htm
2012 ist das „epsilon" neu entstanden, ein Wohnblock mit 7 Geschossen und 391 Wohnungen für „Wohnen im Quartier der Wissenschaften, ein intelligentes Gebäude in intelligenter Lage", so der
Prospekt.
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Das Unternehmen Fink-Modelle war von Hugo Fink, der aus Rumänien stammte, 1946 in Jugenheim gegründet worden und entwickelte sich rasch in Darmstadt im Birkenweg (Verlegerviertel) zu einem
bekannten Modeunternehmen. 1969 wurde die Louis Féraud GmbH & Co KG gegründet, Ende 1972 kam die Firma Yarell Strickmoden GmbH & Co. KG hinzu. Nach dem Tod von Hugo Fink 1975 führte seine
Frau Lilo Fink das Unternehmen 20 Jahre erfolgreich weiter.
Sie war in Frankfurt am Main mit drei Geschwistern aufgewachsen und besuchte hier die Schule bis zum Abitur. Voraussetzung für ihren Eintritt in die Firma war ihre Ausbildung als
Industriekauffrau, dann der Besuch einer Mannequinschule und die Tätigkeit als „Vorführdame". Nach der Heirat 1963 mit Hugo Fink beschränkte sich Lilo Fink nur ein Jahr auf die
Hausfrauenrolle und begann dann ihre Mitarbeit in der Firma mit der Leitung der Modellabteilungen. Regelmäßig bereiste sie die Modezentren der Welt und präsentierte über 1500 Modelle. Für Lilo
Fink sollte Mode „nicht nur tragbar, sondern auch erschwinglich sein".
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Das Unternehmen war so erfolgreich, dass ein größeres Gebäude benötigt wurde. Hierzu wurde rasch ein Grundstück im Westwald bereitgestellt. Die Firma Fink-Modelle feierte bereits am 5. Juni 1974
Richtfest für ihren Neubau. Der dies legalisierende Bebauungsplan W 23 wurde erst am 25.9.1974 von der Stadtverordnetenversammlung als Satzung beschlossen, im Folgejahr vom Regierungspräsidenten
genehmigt und am 18. 5.1976 in den beiden Darmstädter Tageszeitungen bekannt gemacht, also erst ein Jahr später !
Anfang Oktober 1997 meldete die Fink Modelle GmbH für sich und seine deutschen Tochterfirmen das Vergleichsverfahren an. Betroffen waren zu diesem Zeitpunkt 620 Mitarbeiter, darunter 350 in
Darmstadt und 150 in Biblis und Ottweiler.
Das Gebäude ist nun vermietet an: Dinner Krimi, GIG GmbH, MFG Service GmbH, Konzertdirektion Bingel, Theater auf Tour GmbH, AGT International (Sicherheits-Software).
Quelle: „Fink, Lilo (Liselotte)“, in: Hessische Biografie http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/bio/id/1143 (Stand: 11.3.2010)
Etwa um dieselbe Zeit wie Fink ließ der Medienunternehmer Burda eine Druckerei in den Westwald holzen. Der Bebauungsplan hieß hier W 20, die Zahl der Beschäftigten betrug 600 und die Druckerei
war noch früher am Ende als Fink. Am 16. 2.1996 setzte Gerd Spraul, Geschäftsführer der Burda Druck GmbH der Belegschaft aller BURDA-Betriebe mit offenem Brief das Messer an die Brust. Der
Betrieb in Darmstadt mit rund 600 Beschäftigten werde geschlossen. Der Tiefdruckmarkt sei „zu einem der umkämpftesten Märkte Deutschlands" geworden: „Überkapazitäten, Preisverfall, überzogene
Lohnnebenkosten und anachronistische Tarifverträge haben die Ertragslage dramatisch verschlechtert."
2 Wochen später unterzeichneten Geschäftsführung und Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung, in der „die massivsten Einkommenseinschnitte und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen" enthalten
seien, „die wir im Tiefdruck bislang hinnehmen mußten", wie es in einem offenen Brief aller "Betriebsräte der deutschen Tiefdruckbetriebe" an ihre Offenburger Kollegen hieß.
1996 wurde der Darmstädter Betrieb dennoch geschlossen.
Quelle: Die Zeit in http://www.zeit.de/1996/41/burda.txt.19961004.xml
Danach zog die Deutsche Post mit ihrem Briefverteilzentrum 64 mit ca. 200 Beschäftigten in das Gebäude.
Zum Briefverteilzentrum → ein Bericht
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Dem Denken einer autogerechten Stadt ist der Generalverkehrsplan eines Prof. Schaechterle aus dem Jahre 1968 verhaftet. Dieses Denken war damals Allgemeingut und bis heute noch bestimmend für die
Darmstädter Verkehrspolitik. Weil davon Anlieger und Naturliebhaber betroffen waren, wurden im Osten der Stadt verschiedene Varianten einer Umgehung abgewehrt, von einer A 49 über das Oberfeld,
über die Osttangente durchs Martinsviertel bis zur Nordostumgehung.
Die Westumgehung aber bließ über die Jahre eine Konstante. Als Teilstück wurde der „Eifelring" vom Dornheimer Weg südwärts mit einer Brücke über die Rheinstraße 1969 in Dienst gestellt. Dies vor
allem, um den Westwald zwischen Traubenweg und Rheinstraße optisch herauszutrennen und der Fernseh GmbH zur Verfügung zu stellen. Und ausgerechnet, als die GRÜNEN so stark geworden sind, dass sie
die Mehrheit in einer Koalition mit der CDU stellen, wird ein weiteres Teilstück der Westumgehung aktuell: Hiermit soll nun das Gebiet zwischen Rheinstraße und Eschollbrücker Straße angedient
werden.
Gleichzeitig soll diese „Westranderschließung" als Sichelschnitt ein weiteres Stück Westwald für ein Gewerbegebiet abtrennen, so wie es der Bebauungsplans W 23 von 1977 vorsieht.
Quelle der Skizze: Karl Ackermann, Von der Wasserburg zur Großstadt, Darmstadt 1971, S. 62
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Die bleibenden Waldeinschläge sind durch Betrachten von Messtischblättern in verschiedenen Epochen markiert. Es ist bestürzend, wieviel Waldverlust den letzten Jahrzehnten geschuldet ist. Dabei
ist manches nicht berücksichtigt: Die Einrichtung des Waldfriedhofes etwa, weil die Bäume zum großen Teil ja erhalten bleiben. Oder die Hochspannungstrassen, weil sich auf ihnen wieder ein
Bewuchs, wenn auch nur in Buschgröße wieder ansiedelt.
Außer der Stadt Darmstadt haben sich die Städte Griesheim und Pfungstadt mit Gewerbegebieten in den Westwald „hineingefressen". Der Landschaftsfraß der Stadt Weiterstadt ist noch bedeutender,
betrifft jedoch landwirtschaftliche Flächen. Allen Ernstes sollten in den 90er Jahren auf den Äckern des Gehaborner Hofes ein „Technologiepark“ und ein Golfplatz entstehen. Kurzfristig gebildete
Bürgerinitiativen in Weiterstadt und in der Waldkolonie haben dies verhindert. Aber einen gewissen „Abrieb" für den Westwald gab es stets.
Die Vergangenheit zeigt, dass bevorzugtes Bedienen von Firmeninteressen keine Garantie für dauerhafte Arbeitsplätze war. Im „Verlegerviertel" haben sich auf einem ehemaligen Exerziergelände
Verlage, Druckereien, graphische Betriebe, Textilfabriken und die Kosmetikindustrie mit 10.000 Beschäftigten niedergelassen. Die meisten Betriebe existieren aber inzwischen nicht mehr. Die großen
Druckbetriebe haben Darmstadt verlassen oder haben aufgegeben. Die Habra mit 500 Beschäftigten ging 1977 in Konkurs, Burda gab 1996 auf, Prinovis (früher Springer) mit 280
Mitarbeitern gab 2008 auf (ließ aber erst 2011 seine Druckmaschinen nach Ahrensburg transportieren), das Darmstädter Echo verlagerte 2010 seinen Druck nach Rüsselsheim (und kündigte
nebenher den Tarifvertrag der Drucker).
Sicher kann eine Stadt wenig Wirtschaftspolitik betreiben. Sie kann aber durch bedingtes Vermieten von Grundstücken (ähnlich dem Erbbaurecht) dafür sorgen, dass Betriebsgrundstücke nicht zur
Spekulation leer stehen. Leider ist ausgerechnet bei der Bundesanstalt für Immobilien-Angelegenheiten (BImA) gegenteiliges Handeln bei den „Konversionsflächen" zu beobachten.
Wald braucht eine kommunale Politik, die nicht in Konkurrenz zur Nachbarstadt den letzten Baum opfert, die auch auf Wachstum um jeden Preis verzichtet. Wald ist nie ideologiefreie Zone
gewesen.
Interessante Geschichte des Bildes vom Wald in Deutschland:
Wer hat dich, du deutscher Wald ? Frage an einen Mythos (Teil 1)
Wer hat dich, du deutscher Wald ? Frage an einen Mythos (Teil 2)
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